NOTES

Die folgenden Notizen beziehen sich auf das Spiel mit dem Sopransaxophon, die Zeit zwischen 2000 und 2012.

Solo:
Ich spiele hauptsächlich solo, nicht weil ich meine, daß man immer das Schwerste tun sollte oder weil ich nicht mit anderen zusammenspielen mag, sondern weil es sich so ergeben hat, vielleicht auch, weil ich ein Spätentwickler bin.

In den letzten Jahren, ganz allmählich, nimmt ein Gegenüber Formen an, die Möglichkeiten eines Dia­logs beim Alleinspielen entfalten sich. Noch sind sie nicht bewußt abrufbar, aber das Bedürfnis nach Austausch wächst. Dabei sind die Parameter so verschieden wie spannend: Das geräuschhafte Spiel beispielsweise erlaubt es, die Gesten, Mimiken und Haltungen bei Gesprächen nachzuahmen, zu iro­nisieren und zu kommentieren; Pausen ermöglichen es, längere Gedanken oder gar Gedankenketten in den Raum zu stellen und Antworten auszuprobieren, in diesen Pausen, oder sie fortzuspinnen; das »An­spielen« von Dingen und Räumen fördert ebenfalls einen Dialog, eben den mit besagten Dingen und Räumen, aber auch den mit sich selbst, da beim Spielen der Gedanke an die anderen, bekannteren, gewohnten Dinge und Räume unwill­kürlich einen Vergleich hervorruft: wie verändert sich das Spiel durch die neue Umgebung? Die Dinge und Räume werden immer lebendiger.
Schön wäre es, eines Tages ein Konzert mit ver­schiedenen Orten und für sie zu organisieren, während dem die Zuschauer also »reisen« und Stücke eventuell wiederholt werden an dem jeweils »neuen« Ort.

Ton:
Bei den Blasinstrumenten, insbesondere den Saxo­phonen ist der Ton sicherlich so etwas wie das Herz des Ausdrucks. Wenn man beispielsweise als Bild­hauer einen riesigen Klotz vor sich hinstellt, bieten sich viele Möglichkeiten. Mein Klotz, das ist ein überdimensional offenes Mundstück. Ihn zu bearbei­ten, beginnt jeden Tag von neuem, er bleibt vor mir aufgebaut, ich muß, wenn ich mich bewegen will, ihn ersteinmal mit mir herumschleppen, bis er dann allmählich immer leichter und auch runder wird.
Bis manchmal ein satter, obertonreicher Ton ent­steht, ein Ton, der daran denken läßt, daß das Sopran eventuell doch ein tiefes Instrument sein könnte. Das Saxophon, das, rein physikalisch be­trachtet, am schnell­sten gespielt werden kann, weil die Luftwege die kürzesten sind, weckt täglich den Gedanken: Am schwersten ist es, langsam zu spielen und Ornamente zu vermeiden.

Limitierung:
Je größer, obertonreicher der Ton, desto umfas­sender die Limitierung. Technisch betrachtet ist er ein Handikap, eine Behinderung, er kostet Kraft und erschwert die Handhabe des Instruments.
Diese Limitierung bildet den Ausgangspunkt. Bei Beckett heißt es einmal: Wenn einem von allen Stellungen, die der normale Mensch ohne nach­zudenken einnimmt, nur noch zwei oder drei möglich sind, können diese sich um so mehr entfalten. Damit lobpreist er beileibe nicht das Krüppelhafte an sich, sondern weist darauf hin, wie faszinierend die Auseinanderfaltung des Details sein kann.
In spiritueller Hinsicht läßt sich das sogar noch wei­ter denken: Für die Zenpriester im Japan des 18. Jahr­hunderts, die mit der Shakuhachi predigten - ohne Worte, sie haben nur gespielt -, war der Ton der Weg. Sie waren die einzigen, die dieses Ins­tru­ment spielen durften, und wer den Ton »ge­fun­den« hatte, galt als erleuchtet.
Prosaischer ausgedrückt: Die Suche zielt auf die vom Ton her gedachte technische Entsprechung der intellektuellen, ideellen, denkerischen, emotionalen Begrenztheit. Wenn es im Bereich der impro­visierten Musik so etwas wie technische Perfektion gibt, dann ist sie rein individuell, d.i. das Ineins­fallen von Möglichkeit und Umsetzung.

Improvisation/Komposition:
Ingredienzien beider Parameter sind, in meinem Fall: das Meditative, ein Hang zum Skurrilen und Absurden, und die Lust auf Wiederholungen.
Das Meditative schafft Struktur, skurril ist das Le­ben, und die Wiederholungen »räumen auf«, machen den Weg frei, ermöglichen einen weiten Blick, und Schönheit.
Mir gefällt es, wenn jeder Ton so gemeint ist, wie er gespielt wird, egal wo: beim Thema durch die Art des Vortrags, beim Improvisieren durch den Inhalt; ein Kompositionsanspruch also, der nie voll ein­gelöst werden kann. Zum einen ginge nämlich, wenn man es aufschriebe, der Charme verloren, zum anderen ist dieser Wunsch nach Gültigkeit von vornherein zum Scheitern verurteilt, eine verlorene Sache, weil man einfach nicht perfekt improvisieren kann, das wäre ein Paradox. Der beglückenden Ästhetik des Scheiterns haben ja schon andere gehuldigt. Es kann nämlich durchaus beglückend sein, irgendwann die Kurve eben nicht mehr richtig zu kriegen; und gleichzeitig zu spüren, daß das nichts macht und man eben deswegen, weil es nichts macht, sich zuvor so richtig reinlegen konnte, in die Kurve, alles ausschöpfen konnte, nicht vorsichtig zu sein brauchte, und, beim Hören, daß man erst dann, quasi retrospektiv, ab da, wo die Struktur zerbricht, weiß, daß die Äußerung spontan, eben nicht komponiert war. Aufgeschrieben, wäre es ein »Fehler«. So aber macht es nichts, weil es improvisiert war. Also muß man komponieren wol­len, ohne es wirklich zu schaffen. So wie Mal Waldron es versucht hat. Oder Paul Desmond, bei dem man die ganze Zeit die Melodie hindurchhört, doch gleichzeitig ist es total abstrakt, jedoch in einem räumlichen Sinn, d.h. real als Architektur.
Ich genieße es sehr, wenn Soli Geistesgegenwart vermitteln. Vorraussetzungen sind: entweder ist die Improvisation ganz offen, voraussetzungslos zu­mindest im Ansatz, oder das Material ist gut ab­ge­hangen.

Das Material:
Meine Hoffnung: Das Material, das die Moderne zur Verfügung gestellt hat, ist noch längst nicht auf­gebraucht bzw. ausgeschöpft, zumindest in impro­visatorischer Hinsicht nicht vollständig durchge­arbeitet.
Die Erforschung des Nicht-Expressiven im Jazz beginnt gerade erst. Die Herausforderung, mit Hilfe einer normalen Dur-Tonleiter, solch einer einfachen, aufdringlich banalen Vorgabe Linien zu versuchen, die tendenziell abstrakt oder streckenweise sogar atonal klingen, ist ein »Acker«, auf dem noch viele »wirtschaften« könnten, ohne sich gegenseitig ins Gehege zu kommen. Zudem geht es darum, die Skalen wirklich zu kennen, so daß sie wieder auf »natürliche« Weise fremd klingen können. Diese spezielle Ausformung des modalen Konzepts ist meiner Meinung nach noch längst nicht ausgereizt.

Die Melodie:
Das Nicht-Expressive impliziert nicht unbedingt die Abkehr von der Melodie. Ich glaube eher, daß sie, die Melodie geschützt werden muß, wobei natürlich die Gefahr besteht, daß sie so zum eingezäunten Gartenzwerg wird. Sich in dieser Hinsicht dem Motto »Weniger ist mehr« verpflichtet zu fühlen, mindert diese Gefahr - und der Blick auf die Geschichte einer Vernachlässigung, ist die Melodie doch in den letzten 250 Jahren in unserem Kulturkreis eher als bloße Oberfläche der harmonischen Struktur ver­stan­den worden. Dabei ist sie unbestritten das Herz der Musik, die Quelle für die anderen Para­meter - und durchaus in der Lage, sich den Klauen der sogenannten Kulturindustrie zu ent­ziehen. Die Angst der Moderne vor dem Kitsch, entbehrt sie nicht inzwischen jedweder Grundlage? Notwendige Voraussetzungen dieser Souveränität und Selbstän­digkeit und ihres gleichzeitigen Schutzes sind viel­leicht: »primitive« Elemente wie Wiederholung und Rückkehr (bei einer traditionellen Dreiteiligkeit) werden verstärkt und »avancierte« Elemente wie Kontrast und die Fokussierung auf einen Höhepunkt abgeschwächt. Jene bilden einen schützenden Ko­kon um das »romantische« Innere, diese helfen, das Pathos zu umschiffen. Reduktion und »Primitivät« sind jedenfalls nicht mit Naivität gleichzusetzen.

Die Texte:
Texte sind immer in der Nähe und/oder anwesend: beim Komponieren, beim Nachdenken über Titel und auch beim Spielen, in den Pausen. Sie in einen musikalischen Kontext zu stellen, befreit mich vom Zwang, sie zu interpretieren, sklavisch ihrer Seman­tik zu folgen. Die Musik zerlegt und transzendiert sie gleichermaßen, nimmt sie unter ihre Fittiche. Ich bemühe mich, in Gegenwart der Texte so zu spielen, daß in jedem Fall genügend Platz für sie da ist, daß es nie zu eng wird.

Die Titel:
Sie entstehen fast immer, nachdem das Stück fertig ist, d.h. die Musik ist zuerst da. Während ich das Thema spiele, überlege ich, was es ausdrückt, das kann sich hinziehen. Wenn ich eine Richtung ent­deckt habe, wird ausprobiert. Ich wähle dann den Begriff oder das Wort aus den drei mir zur Ver­fügung stehenden Sprachen Deutsch, Englisch oder Französisch danach aus, ob der Klang, die Genauigkeit oder aber im Gegenteil die Bedeu­tungsvielfalt meiner Vorstellung am nächsten kommt. Im Englischen ist es oft am schlichtesten, der Klang stimmt, wie zum Beispiel bei Sounder For The Way, wo er die Bedeutung für Echolot mitträgt. Im Deutschen ist es manchmal die Bedeutungs­vielfalt, die mich anspricht, wie zum Beispiel bei Die Vorstellung, was ja meint, daß jemand jemand anderem vorgestellt wird, aber auch die Vorführung, eines Theaterstücks etc., und die geistige Imagi­nation, so daß ein komplexes Gebilde entsteht.