MORE DIE ABLÖSUNG

Die Ablösung wagt einen Ausflug in den Bereich der klassischen Moderne. Allerdings habe ich nicht die Absicht, mich als Interpret notierter Musik zu profi­lieren. Es ist dies bloß ein Versuch vorzuführen, was alles möglich ist mit und auf dem Instrument.
Bei den Liedern von Webern für Sopran und Or­chester habe ich einfach nur die Gesangsstimme übernommen.
Die Komposition von Poulenc ist dreiteilig, wobei die jeweiligen Melodien recht kurz gehalten sind: ich habe sie, wie im Jazz üblich, als Ausgangsmaterial für jeweilige Improvisationen verwendet.

Mir kommt es vor, als sei Die Ablösung ein wenig virtuoser als ihre Vorgänger. Und ich hoffe, daß diese relative Virtuosität einzig den Möglichkeiten geschul­det ist, das auszudrücken, was ich musikalisch denke und nicht etwa dem Selbstzweck Raum läßt. Vielleicht ist es daher kein Zufall, daß hier eigentlich kein frei improvisiertes und/oder geräusch­haftes Stück zu finden ist. Wenn die Mittel zur Verfügung stehen, verebbt dann das Bedürfnis nach voraus­setzungsloser Freiheit, hier und jetzt sozusagen bei Null zu beginnen, oder wird es zumindest schwä­cher?

Die Trois mouvements perpétuels sind ganz gerade heraus: Kein Gedanke an Dynamik hat mich behindert, das Burschikose mit seiner eingebauten Ironie sollte voll zum Klingen gebracht werden. Die Naivität des Themas hat mich betört. Es war ein Anreiz, mal etwas in Richtung Variation zu ver­suchen, d.h. Teile des Themas immer wieder aufzunehmen. Gefallen hat mir auch, die drei Sätze in ein längeres Stück einzubinden und das nächst­folgende Thema schon im Improvisationsteil des vorherigen Satzes anzudeuten. Daher ist es relativ lang geworden.

Die Mini-Suite Voices knüpft an die Suite Zeitlos an, in denen jeweils Beckett im Mittelpunkt steht; ebenso jedoch an Steve Lacys Suite Sands, die Becketts Gedichte aus den 40ern zum Thema hat (beide Suiten finden sich auf der ausschließlich Beckett gewid­meten CD Il n´y rien à pleurer). Die vorliegenden haikuartigen Kurz-Gedichte ent­stam­men der Samm­lung Mirlitonnades aus den 70ern. Mein Gesang hat Demo-Charakter.
Premiere hatte diese kleine Suite in Ghent, mit Irene Aebi und Jean-Jacques Avenel.
Inhaltlich ergibt sich ein Bogen, den ich erst erkannt habe, nachdem ich die Auswahl der Gedichte getroffen hatte. Ausgangspunkt ist das Faktische: das Grauen nimmt zu, d.h. unser Planet ist wirklich nicht in besonders guter Verfassung, gelinde gesagt. Angesichts dieser Konfrontation mit dem status quo fragt sich: wohin mit der Anspannung, der Empathie, der Depression, der Wut, der Ohnmacht etc.. Es kommt ein Lachen hervor, wie von selbst, das ist einfach so und beileibe kein zynischer Galgenhumor, sondern eher unvermutet, ein kleines Platzen, es kommt über einen.


Step

en face
le pire
jusqu´à ce
qu`il fasse rire



In meiner Beckett-Ausgabe finden sich zwei Über­tragungsversuche. Da Beckett bei den Mir­liton­nades mit Reimmöglichkeiten gespielt hat, gibt es auch im Deutschen einen entsprechenden Versuch: er stammt vom Lyriker und Schriftsteller Karl Krolow, die Wort-für-Wort-Übersetzung ist von Elmar Tophoven, der zusammen mit seiner Frau Erika fast alles von Beckett ins Deutsche übertragen hat.


bis zum Äußersten
gehn
dann wird Lachen entstehn


Man hat so lange das Schlimmste vor sich,
bis es einen zum Lachen bringt.



Vielleicht schafft dies Lachen Platz für etwas anderes, einen Raum, der die poetische Seite des Karmas ausfüllt: wenn man den Zustand über­wunden hat, in dem man mit Schrecken die Omni­präsenz des small talk, des dummen Ge­schwät­zes visualisiert: all die Wellen, die, aus mobile phones kommend, um die Erde wabern, eine pollution ungeheuren Ausmaßes, quasi der Triumph der Redundanz; wenn man also daraufhin gelacht hat, dann ist Platz für die Vor­stellung, daß ein Wort, ein gutes Wort zum anderen kommt, daß nichts verschwindet, daß alles da ist und bleibt, eine weite Ebene mit viel Licht und für den schweifenden Blick, das ist sehr buddhistisch. Das Gedicht könnte doch beinahe von Ryõkan oder Basho stammen.


Flap

ecoute-les
s´ajouter
les mots
aux mots
sans mot
les pas
aux pas
un à
un


hör sie
dazukommen
Worte
zu Worten
wortlos
Schritte zu Schritten
einer nach dem
anderen


Hör sie hinzukommen, die Wörter
zu den Wörtern, wortlos,
die Schritte zu den Schritten, nacheinander.



Dann hat auch das Ende kaum noch etwas Furcht­erregendes. Plötzlich ist alles weg, und man kann nie wissen: bin nur ich es, der verschwindet, ist es die Welt, oder hat meine Wahrnehmung einen Defekt?


Stroke

imagine si ceci
un jour ceci
un beau jour
imagine
si un jour
un beau jour ceci
cessait
imagine


stell dir vor wenn dies
eines Tages dies
eines schönen Tages
stell dir vor
wenn eines Tages
eines schönen Tages dies
aufhörte
stell dir vor


Stell dir vor, ob dies, ob dies eines Tages,
eines schönen Tages, ob eines Tages,
eines schönen Tages dies aufhört, stell dir vor.



Ich mußte bei diesem Gedicht an einen Roman denken, den ich vor kurzem gelesen habe: Die Arbeit der Nacht von Thomas Glavinic, einem Österreicher. Darin geht es um einen Mann, der eines Morgens aufwacht und, als er auf die Straße tritt, sich darüber wundert, wie ruhig alles ist, bis er feststellt, daß niemand mehr da ist: Die Menschen, überhaupt die Lebewesen insgesamt, wie sich später herausstellt, haben aufgehört. Der Strom funktioniert noch, Wind weht, aber ansonsten ist er allein. Und diese Einsamkeit ist überwältigend. Da braucht man schon eine gute Portion Stoizismus, - die Beckett immer wieder, zusammen mit einer sanften Katharsis, anbietet und ausstreut, als Gesamtwirkung seiner Texte -. Schließlich eine Spur Koketterie: Dem Auf­hören eignet auch etwas Augenzwinkerndes, impliziert es doch Freiheit, die im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos ist.
Zu den Titeln: Voices. Beckett hat immer Stimmen gehört. Manchmal beruhigen, manchmal quälen sie ihn. Mittels dieser Stimmen, die er auf die eine oder andere Weise an den Leser weitergibt, entsteht diese kathartische Wirkung, bildet sich heraus als ruhig aufgenommene Erkenntnis, der nichts erspart bleibt bis auf das schlechte Gewissen, eben weil Senti­mentalität verweigert wird. Es ist also nie Trost durch Kitsch oder Klischee.
Stattdessen bildet en face / le pire so etwas wie den Ruf: Step straight ahead, sieh´ der Tatsache ins Auge, daß wir alle auf einem untergehenden Schiff hocken. Then laugh. Was für eine Art von Lachen ist das?
Or dream away, fly, flap (mit dem Flügel schlagen), hinein in die Umlaufbahn der Geistesgeschichte.
Oder benutz´ Deine Vorstellungskraft, do a stroke (Schwimmzug oder Ruderschlag), um das Bild von Nichts zu sehen, einer Atempause und dann nichts.

In The Denouement gefällt mir der Kontrast zwischen der Strenge der Komposition und einigen luftigen Momenten der Improvisation.

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