TEXTAUSZUG 1 2
DIE EINSAMKEIT DES USERS

Wenn einem von allen Stellungen, die der normale Mensch ohne nachzudenken einnimmt, nur noch zwei oder drei möglich sind, können diese sich um so mehr entfalten.
Aber das ist doch der User, dieses nachge­schicht­liche Wesen, an den Monitor gekettet wie Promet­heus an den Felsen! Hat er die Hölle von ham und clov überlebt? Ist er gar ihr Geschöpf?
Ich glaube kaum, auch wenn die Parallelen auf der Hand zu liegen scheinen: What is there to keep me here? - The dialog. Wie für den Besitzer des internet erfunden, geradezu ein Werbeslogan! Man sitzt im Haus, nicht mehr zuhaus, und spricht mit der Welt. Was den User hier hält und vor den Monitor bannt? Das weitverzweigte Netz der Daten­ströme, Ein­woh­ner des globalen Dorfs und damit überall auf der Welt »zuhaus« sein zu dürfen. Auch das könnte Dialog genannt werden: im Internet zu versinken und sich an den Sensationen der vir­tu­ellen Realität zu ergötzen. Und wie bei Beckett führt auch dieser Dialog nirgendwo mehr hin, ist er vom Gedanken an Ziele und Zwecke entbunden.
Und der Körper des Users? Ist ebenfalls einer um­fas­senden Reduktion unterworfen worden, schnurrt er doch auf die Bewegung der Fingerspitzen zusam­men, die über das keyboard huschen.
Bis hierher. Und Schluß. Hier enden die Gemein­sam­keiten.
Beckett konzentriert sich bewußt auf das noch Ver­bliebene, das sich allmählich, die ernsthafte An­stren­gung aller Beteiligten vorausgesetzt, zu einem Vaku­um der Authentizität verdichtet: In diesem Raum gewährt Beckett seinen Figuren bedin­gungs­los Unter­schlupf und rettet sie, indem er ihre Körper reduziert. Und dann beschäftigt er sich mit der Realität dieser Reduktion. Er setzt voraus, daß wirklich nichts an­deres mehr geht.
Der User hingegen käme nie auf die Idee, sich be­wußt ins Abseits zu begeben, nur damit sich das noch Verliebene umso mehr entfalten kann. Die Beckett­sche Frage: Was ist noch möglich, wenn nur noch die Fingerspitzen bewegt werden können? Und vergiß die Maschine!, geht ihm am Arsch vorbei. Die Sehnsucht nach Vereinfachung ist ihm unverständ­lich, es schie­ne ihm absurd, sich vor den Reizfluten des indus­triellen, jetzt Medien-Zeitalters schützen zu wollen durch bewußte Einschränkung von Bewe­gungs­ab­läufen. Im Gegenteil: Er möchte dabeisein, mitreden können, und wenn er dafür seinen Körper einfach wegwerfen muß: so what, das ist nun mal der Preis für den Zutritt ins Reich der Simulation, dafür, in der virtuellen Welt mitspielen zu dürfen. Er gibt ihn auf in der Hoffnung, daß danach dann alles möglich sein wird: im Cyberspace. Der Körper wird ihm zum bloßen Fleisch. Jedoch: Ohne Körper kein Dialog.
Mit Beckett, dem letzten Aufklärer geht also der Dialog zu Ende. Ende. Oder doch nicht? Vielleicht sollte es auch, weniger modern streng, stattdessen postmodern laxer heißen: Der User übernimmt und verarbeitet das, was vom Dialog übriggeblieben ist - den Instinkt des Herdentiers?


Heute gibt es nur noch talkshows.
Wir amüsieren uns nicht zu Tode - selbst das haben wir inzwischen schon verlernt -, wir talken uns zu Tode. Der Totentanz der Zeichen, ein letztes Aufbe­gehren. Die Buchstaben tanzen aus der Reihe, sie treten aus der Schrift heraus und umschwirren uns, ballen sich zu Punktnebeln, würde Flusser sagen. Das ist der Zustand, in dem sich der Dialog heute befindet. Wie post Benjamin: Die Aura ist tot, also kann das Geschäft mit ihr beginnen. Benjamin hat nämlich das Sterben der Aura mit ihrem Tod ver­wechselt. Das zieht sich hin, noch immer ist kein Ende abzusehen. Es handelt sich um einen lang­wie­rigen Prozeß, der mit der beliebigen Reprodu­zier­barkeit von Bildern und Tönen beginnt, damit jedoch noch lange nicht besiegelt ist. Immer wieder hat die Moderne mit ihrer negativen Dialektik und dem An­spruch auf Absolutheit - es gibt kein wahres Leben im falschen und so - den dahinter lauernden Oppor­tu­nismus unterschätzt, dem es im Augenblick des Scheiterns dann angeblich um die Differenz im Ei­nerlei, um die Abweichung von der stereotypen Form, um die Entdeckung des Details ging. Die Anpas­sungsfähigkeit der Hirne an das allmähliche Ver­schwinden des Materiellen ist extrem. Leute, die sich daran aufgeilen, Autotypen zu unterscheiden, die, denkt man an die möglichen Formen, eigentlich gar nicht mehr zu unterscheiden sind, finden sich auch im künstlerischen Betrieb. Und der Platten­antiquar schwört auf die Aura der Hülle und des Knisterns, er lobt die Wärme des Klangs. Und steht auf Röhren­verstärker. Und wer kennt das nicht: die Nadel schmierte über den Plattenteller, am besten in ein­prägsamen Situationen, beim Vögeln oder im Suff, und die Rezeption des jeweiligen Stücks bleibt ein für alle Mal geprägt von der Ein­maligkeit des Kratzers. Oder der Radiohörer, er begeisterte sich an der Einma­lig­keit der Sendung. Und dann erst der Purist, aus den Pioniertagen: er ließ sich blenden vom Live-Ereignis, direkt vorm Mikro. Heute jedoch ist die Simulation total. Und: Gibt es etwas einzuwenden gegen die Allmacht und Omnipräsenz des Scheins? So nach dem Motto: Besser, es scheint, als daß es dunkel ist? Doch wir werden all­mählich blind vor lauter Bildern, wir tasten zwischen ihnen umher und bewegen uns kaum noch. Wir sit­zen vor Bildschirmen oder rasen, ebenfalls sitzend, gleichgültig durch fiktiv werdende Landschaften. Die Materialität unserer Körper ist im Verschwinden begriffen. Jedoch, noch einmal: Der Dialog ist der Realität verhaftet, der physischen Präsenz von zwei Personen, die abwechselnd die Rede führen.


Heute gibt es nur noch talkshows.
In einer Situation, in der es nichts mehr zu erklären gibt, muß man auch nicht mehr verstanden werden. Talken, bis der Schweiß ausbricht oder das Blut spritzt, darauf kommt es an. Und wie billig diese Produktionen sind, ökonomisch wie ästhetisch. Die Gewalt der fiktiven Bilder wird übersetzt in ein chao­tisches Sprachspiel, bei dem der Sieger - vielleicht am wenigsten schwitzt? Menschen werden denun­ziert, entblößt, mit Worten gelyncht, verächt­lich gemacht, und das Sensationelle daran ist, daß das Ganze scheinbar wirklich passiert, quasi live. Der Dialog der talkshows ersetzt die Gladiatoren­kämpfe. Aber auch den besinnungslosen small talk des Alltags. Der Konsument verstummt, dafür labern seine Statthalter auf dem Monitor umso mehr. Doch die bunten Ku­lis­sen, notdürftig zusammengehalten vom Aktio­nis­mus aufgeregter, überdrehter Gesten, sind rissig. Mangel­haft nur kaschieren sie das Spiegelbild der Emp­fängerpsyche, die trostlose Land­schaft grenzenloser Langeweile, eingebettet in die wattige Atmosphäre stumpfer Passivität.
In einer Situation, in der es nichts mehr zu erklären gibt, muß man auch nicht mehr verstanden werden. Das ist digital. Kein Dialog mehr. So geht es also weiter: digital, in Sprüngen, unvermittelt.
Beckett konnte noch den Unterschied definieren zwischen Pause und Stille, der Pause zwischen den Worten und der Stille nach Musik. Soweit zum ana­logen Prinzip.
So geht es also weiter. Das passiert immer wieder, daß man sich in Wiederholungen verliebt, vor dem Bildschirm, der Klänge sichtbar machen soll, in ge­beugter Haltung. D.h., wie läßt sich verhindern, daß das Sprechen in Sprüngen unerträglich wird?


Anfangs dachte ich an einen Titel wie: Der Dialog - Fiktion, im Wachstum oder bloß verarmt? - und wun­der­te mich, daß alle drei darin enthaltenen Annah­men richtig zu sein scheinen. Dabei sollten die Thesen doch möglichst provokant werden. Ich fragte mich, was es zu bedeuten hat, wenn sich kein Standpunkt mehr finden läßt. Daß wir uns in einer Phase des Umbruchs befinden? Daß Standpunkte unserer Wirk­lichkeit nicht mehr gerecht werden?
Der Dialog - Fiktion, im Wachstum oder bloß ver­armt? -
Tatsache ist, daß er als Ideal der Aufklärung ins Reich der Fiktion abgedrängt worden ist. Tatsache ist auch, daß er, wenn man seine herkömmliche, an das Wort geknüpfte Definition ein wenig beiseite läßt, immer komplexer wird, also wächst. Tatsache ist schließlich, daß es ihn noch immer gibt, seine Aus­drucks­möglichkeiten jedoch ständig schrumpfen.
Noch einmal: Die Bedingungen für so etwas wie den klassischen Dialog müssten heute aufwendig und mühsam nachgestellt werden. Dennoch wird er im­mer bloßes Zitat bleiben, da das gesprochene Wort ständig an Bedeutung verliert und langsam zu einem beliebigen Teil des akustisch Wahrnehmbaren ver­küm­mert. Die innere Logik des Dialogs bleibt in je­dem Fall auf der Strecke, selbst wenn er die Un­glaub­würdigkeit des gesprochenen Wortes reflek­tiert, denn die Inhaltsebene der Wechselrede hat sich verflüch­tigt. Die Beziehung an sich gerät ins Zentrum der Kommunikation, das verbal Beiläufige: Wortwitze, Anspielungen, Sprachspiele entlarven oder stigma­tisieren das Verhältnis der Dialog­part­ner. Nur zufällig geraten auch inhaltliche Äuße­rungen in den Aus­tausch auf der Beziehungsebene, die zwar von jeher komplexer und mehrsträngiger war als die Struktur der hehren Inhalte, jedoch weitab vom Zentrum des Interesses lag. Obwohl die Kommunikation über Inhalte also wahrscheinlich im­mer schon unrealis­tisch war, kennzeichnete jedoch das Ringen darum, sie einzulösen, den Versuch, die Wirklichkeit zu verstehen, Identität zu erfahren, frei zu werden. Diese Kategorien interessieren heute nicht mehr. Widersprüche und Antinomien sind lange diskutiert worden. Als Schnitte unserer Wahr­nehmung haben sie sich materialisiert im Prinzip der blitzschnellen, übergangslosen Operationen.
Nun wird allerdings immer noch miteinander gere­det, vielleicht sogar mehr denn je. Und wen interes­siert schon die Aufklärung oder der Platonsche Dialog: Ein Frager führt seinen Partner oder Schüler stufenweise einem Ziel zu. Wozu daran sich abar­beiten? Da die Worte kaum noch etwas wiegen, rücken doch statt­dessen die übrigen Äußerungen des Körpers ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Gesten, Mimik, Blicke, und die vielen kleinen Ge­räusche um das Reden herum. Der Dialog wächst also. Erstaunt stellen wir jedoch fest: In den sel­tensten Fällen ist das Gesagte auch gemeint gewesen. Also muß es übersetzt werden. Und wenn sich die Beweisquellen nun nicht abbilden lassen?
Während im Roman oder der Erzählung oder aber im Film Dialogpartikel eingebunden sind in die Be­schrei­bung bzw. Darstellung oder Abbildung der da­zu­gehö­rigen Geräusche, der bewußten oder unbe­wußten Gesten, der Zuckungen, der körperlichen Ticks, der Grimassen, dann der das Gesagte be­gleitenden Hand­lungen, und nicht zu vergessen der Temperatur, der Gerüche, des Lichts, des Raums, der simultanen Gedanken etc., vermag das Hörspiel nur einen kleinen Teil davon, eben die Geräusche und einen Teil der Handlungen bzw. Gedanken wiederzugeben. Rechnet man hinzu, daß, um der Authentizität der Abbildung willen, die Beschreibung proportional zum Gesagten immer stärker anwächst, dann sprengt diese Notwendigkeit die Gesetze des Mediums Hör­spiel. Der Roman wie der Film können die Gleich­zeitigkeit all dieser Ebenen mit Leich­tig­keit behaup­ten, das Hörspiel muß an dieser Aufgabe naturgemäß scheitern.
Wenn es sich beschränkt, bleiben Klischees zurück. Wenn es die Komplexität auf einen Erzähler ab­wälzt, entsteht eine Lesung. Und wenn es so viele Schich­ten wie nur möglich übereinanderlegt, stehen wir plötzlich wieder da, wo wir begonnen haben: im Audio-Brei des Alltags. Das Ohr ist in die Defensive gedrängt worden. Die Vorführung des gleichzeitigen Nebeneinanders vieler Elemente, die, zusammen­genommen, eine Dialogsituation umreißen sollten, hat die Sensibilität nicht geschärft, sondern bloß die Notwendigkeit beschworen, sie zu bewahren oder aufzusparen, bis sie einem Klanggebilde anhörig wird, dessen Transparenz die Schmutzschichten des Alltags retrospektiv voneinander ablöst, so daß diese für Momente der Erinnerung wie Musik er­klingen.
Die Nivellierung dieser Einzelheiten vorzuführen, ist jedoch, wie die Ästhetik des Videoclips gezeigt hat, ein einmaliger Akt.
Mit Worten allein läßt sich vieles nicht mehr er­klären, und vielleicht läßt es sich überhaupt nicht mehr erklären, wenn Worte nicht mehr ausreichen, denn die anderen der Darstellung dienenden Mittel erklären nicht, sie machen auf etwas aufmerksam, führen etwas vor, geben Hinweise, doch das Fädeln haben sie nicht im Repertoire. Und um klarzu­machen: es gibt nichts mehr zu diskutieren, fehlen wiederum dem Dialog die Mittel.
Also: Das Stichwort Fiktion führt zur Askese und zur Reminiszenz der Aufklärung, das Stichwort Wachs­tum zum Euphemismus, zur Starre oder zu Redun­danz und Beliebigkeit; in seltenen Fällen vielleicht aber auch weg von der Linearität. Das Stichwort Verarmung schließlich mündet in die Larmoyanz und begünstigt die Renaissance der Innerlichkeit.
In jedem Fall ist der Dialog fürs Hörspiel gestorben und kann nur geentert werden: von der Musik des Monologs, dem Monolog der Musik?