Aussichten und Möglichkeiten
Die Schnittstelle zwischen der geschichtlichen und der nach-geschichtlichen Welt bietet dem Hörspiel zwei Möglichkeiten: Entweder es simuliert die Situation des nicht-logischen, ungefädelten Geschichtenerzählens oder aber es versucht, die Welten des Hörbaren musikalisch zu strukturieren. In jedem Fall geht es darum, die fürs Schreiben notwendige Kontrolle und die Reminiszenz an das Prozessuale aufzugeben. Dem digitalen Prinzip entspricht das zufällige Nebeneinander von Geräuschen, Wortfetzen und Musik. Vonnöten ist die feine Balance einer Ökonomie, die zwischen der quasi-mathematischen Struktur hinter den Kulissen, der Überfülle des Materials und der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit des Resultats vermittelt. Übernimmt der Wille zu Stringenz, Präzision und Gedankenschärfe die alleinige Regie, wird das Skelett des Baus sichtbar, das Fleisch fällt von der Form. Wird die Kategorie der Notwendigkeit geringgeschätzt, so entstehen überladen und diffus wirkende Produktionen.
Die Schwierigkeit des digitalen Arbeitsprozesses liegt in der Gestaltung von Übergängen. Da dem kausalen Denken zunehmend das Material ausgeht, wird es oft vorschnell ganz aufgegeben, auch für die Gestaltung der Form, also fehlen die Übergänge. Dabei mutiert es doch bloß zum Spiel. Hält man hingegen mit noch immer inhaltlich begründeter Ernsthaftigkeit daran fest, wird die Illusion zerstört, d.h. Übergänge sind zwar da, sie wirken jedoch simuliert, d.h. ihrem Schein fehlt Eleganz. Die digitale Methode sträubt sich gegens Werden und Wachsen, überhaupt gegen die Glaubwürdigkeit jedweder Analogie. Sie verweigert die Pause. Homogene Abläufe müssen mühsam erarbeitet werden. Die Gefahr des Gefühls jedoch, daß selbst langwierig geschliffenen Sensationen natürliche Gelenkstellen abgehen und sie stattdessen, zwar opulent verpackt, bloß das beliebig erweiterbare Nebeneinander von Möglichkeiten, eine rein numerische Überfülle vorführen, bleibt weiterhin bestehen. Setzen wir uns also einmal bewußt der Situation aus, nur zu hören, d.h. vergessen wir einmal die Notwendigkeit, uns vor der Umwelt zu schützen, produzieren wir also ein Hörspiel, so spiegelt sich im Überangebot der Möglichkeiten sofort die Flut der Reize, denen wir im Alltag ausgesetzt sind.
Eine Ästhetik der akustischen Kunst müßte sich demnach bescheiden, ohne streng zu werden, sich beschränken, ohne in Askese zu erstarren. Dem Gehörten können wir uns nämlich nicht entziehen. Wir glauben den Klängen, auch wenn ihre Quelle unsichtbar bleibt. Nähern wir uns nun einem Sujet, das a priori abgenutzt, hinfällig, veraltet und zerrissen wirkt - die Rede ist natürlich vom Dialog -, dann nimmt dieser systemimmanente Hang zum Zuviel fatale Züge an. Erinnert die Inszenierung des Dialogs auch nur entfernt an die Abbildung der akustischen Wirklichkeit, die uns nichts Wichtiges mehr zu sagen hat, dann nähert sich die Enttäuschung der Schmerzgrenze. Die Distanz zum Geschehen, die das Auge noch selbst entwickeln kann, muß dem Ohr durch die Form erst gegönnt werden.
Diese Reduktion der emotionalen Konsistenz richtig zu dosieren, ist jedoch äußerst schwierig, denn die Dominanz des Visuellen hat uns an einen Pegel der Gefühle gewöhnt, den das Akustische nur noch musikalisch überbieten kann. Die Flut der Fernseh- und Kinobilder konfrontiert uns täglich mit derart heftigen emotionalen Eruptionen, daß wir schon ein gutes Quantum davon brauchen, um überhaupt noch wach zu werden. Die Balance zwischen Klischee und Kälte erinnert an einen Hochseilakt.
Die einzige Möglichkeit, das gleichzeitig gewachsene wie verarmte Gespräch akustisch zu reflektieren, diese totalitären Tableaus, auf denen so vieles gleichzeitig hin- und herwuselt und die dennoch erstarrt wirken, besteht vielleicht darin, ihre Bildhaftigkeit in die Musikalisierung der Form zu übersetzen. Musik sowie die musikalische, vor allem rhythmische Strukturierung der Sprache vermag die abgenutzten Worte an-, aber auch auszuleuchten, bis die Reste ihres Gehalts aufscheinen, bis sie selbst zu Musik werden.
Der Starre des Stillebens fehlt eine Metapher, um sie zu rhythmisieren, dem Realismus der Überfülle fehlt der haut gout der Sprache, ihre Blume, ihr Geruch, der Monolog, der sich in Musik auflöst, bis die ausradierte Zwiesprache sinnlich spürbar, hörbar wird, beim Krieg des Spiels, bei der einsamen Vernichtungsarbeit mit der Maus in der Hand.
Das Hörspiel wendet sich nicht ab - vorbei sind die Feiern der Selbstbesinnung und Identitätsfindung, des autonomen Subjekts, oder wie immer das hieß -, noch biedert es sich an mit dem Versuch, das Modell unserer Wirklichkeit zu übertrumpfen, dieser Krampf des Zeitgenössischen, geboren aus der Paranoia, nicht mehr mitreden zu können. Stattdessen führt es Stille vor, ihre Hölle, und ihre produktive Spannung, die, die hinter dem Lärm tobt, schrecklicher noch als er selbst, und die, die das Gefühl für Klarheit weckt, den Sinn für eine Schönheit, die nicht herbeigeredet werden muß, eine Architektur, in der Worte und Klänge sich unauflöslich vermischen und das Material für einen Bau bilden, der die Zeit des Hörens überdauert. Die Reproduzierbarkeit als Renaissance des Hörraums, als Magie der Wiederholung.