TEXTAUSZUG 1 2
DIE EINSAMKEIT DES USERS

Aussichten und Möglichkeiten
Die Schnittstelle zwischen der geschichtlichen und der nach-geschichtlichen Welt bietet dem Hörspiel zwei Möglichkeiten: Entweder es simuliert die Situ­ation des nicht-logischen, ungefädelten Geschich­ten­erzählens oder aber es versucht, die Welten des Hörbaren musikalisch zu strukturieren. In jedem Fall geht es darum, die fürs Schreiben notwendige Kon­trolle und die Reminiszenz an das Prozessuale auf­zugeben. Dem digitalen Prinzip entspricht das zu­fällige Nebeneinander von Geräuschen, Wortfet­zen und Musik. Vonnöten ist die feine Balance einer Ökonomie, die zwischen der quasi-mathematischen Struktur hinter den Kulissen, der Überfülle des Materials und der daraus resultierenden Unüber­sichtlichkeit des Resultats vermittelt. Übernimmt der Wille zu Stringenz, Präzision und Gedankenschärfe die alleinige Regie, wird das Skelett des Baus sichtbar, das Fleisch fällt von der Form. Wird die Kategorie der Notwendigkeit geringgeschätzt, so entstehen überladen und diffus wirkende Produk­tionen.
Die Schwierigkeit des digitalen Arbeitsprozesses liegt in der Gestaltung von Übergängen. Da dem kau­salen Denken zunehmend das Material ausgeht, wird es oft vorschnell ganz aufgegeben, auch für die Gestaltung der Form, also fehlen die Übergänge. Dabei mutiert es doch bloß zum Spiel. Hält man hin­gegen mit noch immer inhaltlich begründeter Ernst­haftigkeit daran fest, wird die Illusion zerstört, d.h. Übergänge sind zwar da, sie wirken jedoch simuliert, d.h. ihrem Schein fehlt Eleganz. Die digitale Methode sträubt sich gegens Werden und Wachsen, überhaupt gegen die Glaubwürdigkeit jedweder Analogie. Sie verweigert die Pause. Ho­mogene Abläufe müssen mühsam erarbeitet werden. Die Gefahr des Gefühls jedoch, daß selbst lang­wierig geschliffenen Sensa­tionen natürliche Gelenk­stellen abgehen und sie stattdessen, zwar opulent verpackt, bloß das beliebig erweiterbare Neben­einander von Möglichkeiten, eine rein numerische Überfülle vorführen, bleibt weiterhin bestehen. Set­zen wir uns also einmal bewußt der Situation aus, nur zu hören, d.h. vergessen wir ein­mal die Not­wen­digkeit, uns vor der Umwelt zu schüt­zen, produ­zieren wir also ein Hörspiel, so spiegelt sich im Überangebot der Möglichkeiten sofort die Flut der Reize, denen wir im Alltag ausgesetzt sind.
Eine Ästhetik der akustischen Kunst müßte sich demnach bescheiden, ohne streng zu werden, sich beschränken, ohne in Askese zu erstarren. Dem Gehörten können wir uns nämlich nicht entziehen. Wir glauben den Klängen, auch wenn ihre Quelle unsichtbar bleibt. Nähern wir uns nun einem Sujet, das a priori abgenutzt, hinfällig, veraltet und zer­rissen wirkt - die Rede ist natürlich vom Dialog -, dann nimmt dieser systemimmanente Hang zum Zu­viel fatale Züge an. Erinnert die Inszenierung des Dialogs auch nur entfernt an die Abbildung der akustischen Wirklichkeit, die uns nichts Wichtiges mehr zu sagen hat, dann nähert sich die Ent­täu­schung der Schmerz­grenze. Die Distanz zum Ge­schehen, die das Auge noch selbst entwickeln kann, muß dem Ohr durch die Form erst gegönnt werden.
Diese Reduktion der emotionalen Konsistenz richtig zu dosieren, ist jedoch äußerst schwierig, denn die Dominanz des Visuellen hat uns an einen Pegel der Gefühle gewöhnt, den das Akustische nur noch musi­kalisch überbieten kann. Die Flut der Fernseh- und Kinobilder konfrontiert uns täglich mit derart heftigen emotionalen Eruptionen, daß wir schon ein gutes Quantum davon brauchen, um überhaupt noch wach zu werden. Die Balance zwischen Klischee und Kälte erinnert an einen Hochseilakt.
Die einzige Möglichkeit, das gleichzeitig gewach­se­ne wie verarmte Gespräch akustisch zu reflektieren, die­se totalitären Tableaus, auf denen so vieles gleich­zeitig hin- und herwuselt und die dennoch er­starrt wirken, besteht vielleicht darin, ihre Bild­haf­tigkeit in die Musikalisierung der Form zu über­setzen. Musik sowie die musikalische, vor allem rhythmische Strukturierung der Sprache vermag die abgenutzten Worte an-, aber auch auszuleuchten, bis die Reste ihres Gehalts aufscheinen, bis sie selbst zu Musik werden.
Der Starre des Stillebens fehlt eine Metapher, um sie zu rhythmisieren, dem Realismus der Überfülle fehlt der haut gout der Sprache, ihre Blume, ihr Geruch, der Monolog, der sich in Musik auflöst, bis die aus­radierte Zwiesprache sinnlich spürbar, hör­bar wird, beim Krieg des Spiels, bei der einsamen Vernich­tungsarbeit mit der Maus in der Hand.
Das Hörspiel wendet sich nicht ab - vorbei sind die Feiern der Selbstbesinnung und Identitätsfindung, des autonomen Subjekts, oder wie immer das hieß -, noch biedert es sich an mit dem Versuch, das Modell unserer Wirklichkeit zu übertrumpfen, dieser Krampf des Zeitgenössischen, geboren aus der Pa­ra­noia, nicht mehr mitreden zu können. Stattdessen führt es Stille vor, ihre Hölle, und ihre produktive Spannung, die, die hinter dem Lärm tobt, schreck­licher noch als er selbst, und die, die das Gefühl für Klarheit weckt, den Sinn für eine Schönheit, die nicht herbeigeredet werden muß, eine Architektur, in der Worte und Klänge sich unauflöslich vermischen und das Material für einen Bau bilden, der die Zeit des Hörens über­dauert. Die Reproduzierbarkeit als Renaissance des Hörraums, als Magie der Wieder­holung.