Ein anderer Zweig relativ ungebrochener Abbildung: die improvisierte Musik. Immer wieder gekennzeichnet durch die spielerische Imitation von Naturgeräuschen, Tier- und Menschenstimmen mit Hilfe von Instrumenten und Gesang. Ihre Naivität: sowohl ernsthaft als auch stilisiert, ebenso ihr Markenzeichen, die Unmittelbarkeit: ungebrochen oder reflektiert. Das »Begehren« des free jazz und seiner Ableger kreist beständig um die Befreiung vom Geist des Konsumismus, er will zum Selbermachen anregen. Seine Intellektualität soll kommunikativ sein, dilettantisch bleiben, um ansteckend zu wirken. Der Ausdruck versammelt sich immer um den vermeintlichen Kern eines Spielersubjekts. Fundus für Personalstile...
Reminiszenzen. Denn auch der free jazz darf nicht länger episch sein. Wut, Verzweiflung, Trauer, Depression: Ekklektische Musik schert sich wenig um die Sehnsucht nach Persönlichkeit und Ganzheit. Auch die Jazzer müssen heute »gut drauf sein« und die Dominanz der Komödie, wie der Film sie vorgibt, gutheißen. Und dennoch:
Heute findet Musik, hauptsächlich sogenannte Grenzmusik, wieder zu ihrer archaischen, teils mimetisch-lautmalerischen, invektiven, teils transzendenten Bedeutung zurück. Erneut überlagert und übersteigt sie das gesprochene Wort an Bedeutungsvielfalt und Relevanz.
Informationstheorie und die Universalmaschine Computer lösen die Poesie des Wortes ab. Seine Präzision wird, in Musik übersetzt, einer Vielzahl von Assoziationsmöglichkeiten geopfert. Dieser alle Medien überziehenden Tendenz zum inhaltlichen Rauschen, dem Ende der Zeichen, vermag allein die Musik gerecht zu werden, sie häutet sich.
Sie läßt ihre Innerlichkeit zurück und vermittelt keine Botschaft mehr.
Einerseits also das Immergleiche, andererseits immer raffiniertere Details: Sound ersetzt die Texte. Authentische Gefühle verlassen die Tanzfläche. Stattdessen treten auf: Leute mit wachen Ohren. Sie führen vor, was ihnen gefällt, auf welche Stimmungen sie »abfahren«. Viele verschiedene Zitate werden faszinierenden Rhythmen unterworfen. Musik bietet nur sich selbst noch an: »You´ve got a problem? Let´s dance!« Dazwischen: Interludien, irritierende Zwischenspiele.
Wie bei Janet Jackson, hier zu einer Collage verbunden. Die optimistische Gesinnung der Texte, ihre naiven sozialen Klagen: nebensächlich für den, der aufdreht:
»Janet Jackson: Collage aus mehreren Stücken«.
Die Vielfalt der Einzelheiten wird erst dann erkennbar, beziehungsweise hörbar, wenn man aufdreht. Die Transparenz des Sounds ermöglicht das Nebeneinander unterschiedlich lauter, überhaupt völlig unterschiedlicher Klänge: die Referenz an verwöhnte Junghörer. Selbst Konzerte nämlich sind immer weniger »live«, sondern a priori strukturiert durch Bandeinspielungen.
Eigentlich ist die Sache ganz einfach, beweisbar mit einer guten Hifi-Anlage. Während opulente Mischungen im Autoradio zu drögen Hits zusammenschrumpfen, scheinen sie im lautgestellten CD-Player zu wachsen. Dröhnend werden sie zum Ereignis. Die Mischungen sind so raffiniert, daß immer etwas Neues entdeckt werden kann. Viele übereinandergelagerte Spuren, dazwischen der Rausch.
Wie bei Prince...
Die Sprache der Geräusche, also die Realität unverständlichen Dazwischenredens und der akustischen Kulissen ohne Bedeutung wird immer eigenständiger. Schon heute bilden disparate Versatzstücke der Wirklichkeit immer selbständiger und selbstverständlicher Geschichten ohne Anfang und Ende...
Das Hörspiel expandiert ohne sein Wissen...
Subversion und Unterhaltung bilden keine Gegensätze mehr. Die von außen aufgezwungene, fremdbestimmte Transparenz als Chance, als Vermischung ehemals feindlicher Sphären, ein Stück des alten Traum von der Versöhnung zwischen ernster und heiterer Musik. Daß Kunst eine Ware ist, muß nicht mehr diskutiert werden, die Inhalte werden einfach nicht mehr geglaubt. Und die Musiker tragen ihre Sprachlosigkeit selbstbewußt vor, ohne schlechtes Gewissen. Sie sind es, die erklärungsmüden Pragmatiker, die heute der akustischen Kunst entscheidende Impulse schenken und die Dominanz des traditionellen Komponisten ersetzen: Pendler zwischen den Welten, zwischen kompositorischer Struktur und Improvisation, zwischen Unterhaltung und Aufmerksamkeit, zwischen Zitaten aufgewärmter Formen und Experimenten.
Die Zukunft des »erzählenden« Hörspiels liegt in der Musikalisierung der Form.