TEXTAUSZUG 1 2 3
DE LA SOUL...

Ein anderer Zweig relativ ungebrochener Abbildung: die improvisierte Musik. Immer wieder ge­kenn­zeich­net durch die spielerische Imitation von Na­tur­geräuschen, Tier- und Menschenstimmen mit Hilfe von Instrumenten und Gesang. Ihre Naivität: sowohl ernsthaft als auch stilisiert, ebenso ihr Marken­zeichen, die Unmittelbarkeit: ungebrochen oder re­flektiert. Das »Begehren« des free jazz und seiner Ableger kreist beständig um die Befreiung vom Geist des Konsumismus, er will zum Sel­ber­machen an­regen. Seine Intellektualität soll kom­mu­nikativ sein, dilettantisch bleiben, um ansteckend zu wirken. Der Ausdruck versammelt sich immer um den ver­meintlichen Kern eines Spielersubjekts. Fundus für Personalstile...

Reminiszenzen. Denn auch der free jazz darf nicht länger episch sein. Wut, Verzweiflung, Trauer, De­pression: Ekklektische Musik schert sich wenig um die Sehnsucht nach Persönlichkeit und Ganzheit. Auch die Jazzer müssen heute »gut drauf sein« und die Dominanz der Komödie, wie der Film sie vorgibt, gutheißen. Und dennoch:
Heute findet Musik, hauptsächlich sogenannte Grenzmusik, wieder zu ihrer archaischen, teils mimetisch-lautmalerischen, invektiven, teils trans­zendenten Bedeutung zurück. Erneut über­lagert und übersteigt sie das gesprochene Wort an Be­deutungsvielfalt und Relevanz.
Informationstheorie und die Universalmaschine Com­puter lösen die Poesie des Wortes ab. Seine Prä­zision wird, in Musik übersetzt, einer Vielzahl von Assozia­tionsmöglichkeiten geopfert. Dieser alle Me­dien über­ziehenden Tendenz zum inhaltlichen Rau­schen, dem Ende der Zeichen, vermag allein die Musik gerecht zu werden, sie häutet sich.
Sie läßt ihre Innerlichkeit zurück und vermittelt keine Botschaft mehr.
Einerseits also das Immergleiche, andererseits im­mer raffiniertere Details: Sound ersetzt die Texte. Au­thentische Gefühle verlassen die Tanzfläche. Statt­dessen treten auf: Leute mit wachen Ohren. Sie führen vor, was ihnen gefällt, auf welche Stim­mungen sie »abfahren«. Viele verschiedene Zitate werden faszinierenden Rhythmen unterworfen. Musik bietet nur sich selbst noch an: »You´ve got a problem? Let´s dance!« Dazwischen: Interludien, irritierende Zwischenspiele.

Wie bei Janet Jackson, hier zu einer Collage ver­bunden. Die optimistische Gesinnung der Texte, ihre naiven sozialen Klagen: nebensächlich für den, der aufdreht:

»Janet Jackson: Collage aus mehreren Stücken«.

Die Vielfalt der Einzelheiten wird erst dann er­kenn­bar, beziehungsweise hörbar, wenn man auf­dreht. Die Transparenz des Sounds ermöglicht das Neben­einander unterschiedlich lauter, über­haupt völlig unterschiedlicher Klänge: die Referenz an verwöhnte Junghörer. Selbst Konzerte nämlich sind immer we­niger »live«, sondern a priori strukturiert durch Bandeinspielungen.
Eigentlich ist die Sache ganz einfach, beweisbar mit einer guten Hifi-Anlage. Während opulente Misch­ungen im Autoradio zu drögen Hits zu­sam­men­schrumpfen, scheinen sie im laut­ge­stellten CD-Player zu wachsen. Dröhnend werden sie zum Ereignis. Die Mischungen sind so raffiniert, daß immer etwas Neues entdeckt werden kann. Viele über­ein­an­der­gelagerte Spuren, dazwischen der Rausch.

Wie bei Prince...

Die Sprache der Geräusche, also die Realität un­ver­ständlichen Dazwischenredens und der akus­tischen Kulissen ohne Bedeutung wird immer eigen­stän­diger. Schon heute bilden disparate Versatzstücke der Wirk­lichkeit immer selbständiger und selbst­ver­ständlicher Geschichten ohne Anfang und Ende...
Das Hörspiel expandiert ohne sein Wissen...
Subversion und Unterhaltung bilden keine Gegen­sätze mehr. Die von außen aufgezwungene, fremd­bestimmte Transparenz als Chance, als Ver­mischung ehemals feindlicher Sphären, ein Stück des alten Traum von der Versöhnung zwischen ernster und heiterer Musik. Daß Kunst eine Ware ist, muß nicht mehr diskutiert werden, die Inhalte werden einfach nicht mehr geglaubt. Und die Musiker tragen ihre Sprachlosigkeit selbstbewußt vor, ohne schlechtes Gewissen. Sie sind es, die erklärungsmüden Prag­matiker, die heute der akus­tischen Kunst ent­schei­dende Impulse schenken und die Dominanz des traditionellen Komponisten er­setzen: Pendler zwi­schen den Welten, zwischen kompositorischer Struk­tur und Improvisation, zwi­schen Unterhaltung und Aufmerksamkeit, zwischen Zitaten aufgewärmter For­men und Experimenten.
Die Zukunft des »erzählenden« Hörspiels liegt in der Musikalisierung der Form.